Univ.-Prof. Dr. Andreas Karwautz |
Fairburn - Ess-Attacken stoppen
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Christopher G. Fairburn: "Ess-Attacken stoppen. Ein Selbsthilfeprogramm", Verlag Hans Huber, 2004, ISBN: 3-456-84125-6; 251 Seiten, Preis etwa 19.95 Euro
Rezensentin: Mag. Dr. Susanne Ohmann, Psychologin und Psychotherapeutin am AKH Wien, Februar 2005
"Ess-Attacken stoppen. Ein Selbsthilfeprogramm" ist ein praxisnaher, leicht verständlicher und wissenschaftlich fundierter Ratgeber des britischen Psychiatrie-Professors Christopher G. Fairburn, einem renommierten Experten auf dem Gebiet der Essstörungen. Das im Original 1995 erschienene Buch wurde vom Autor überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht.
Mit seinen konkreten und praktischen Hilfestellungen richtet sich das Buch sowohl an Betroffene als auch an Berufsgruppen, die therapeutisch mit Patienten arbeiten, die an unkontrollierbaren Heisshunger-Essanfällen (Binge Eating Disorder) leiden. Neben Aufklärung und Unterstützung will dieser Ratgeber Menschen mit Essattacken zu Veränderung und Neuanfang motivieren und kann eine für viele Betroffene annehmbare und leicht zugängliche Form der Behandlung darstellen.
Das Buch gliedert sich in einen Grundlagenteil (Teil I) und einen Manualteil (Teil II):
In Teil I wird der neueste Wissensstand zum Krankheitsbild präsentiert. Neben Grundlagen, Ursachen und neuesten Forschungsdaten zur Verbreitung des Problems werden die Lesenden über psychische, soziale und körperliche Begleiterscheinungen von Essattacken informiert. Dabei fliessen in den gut lesbaren Text immer wieder Studienergebnisse sowie Tagebucheintragungen von Betroffenen ein. Das letzte Kapitel des ersten Teils des Buches ist unterschiedlichen Behandlungsansätzen gewidmet. Der Autor streicht die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie in der Behandlung hervor, die auch dem Selbsthilfeprogramm (Teil II) zugrundeliegt.
In Teil II wird ein Manual eines kognitiv-verhaltenstherapeutischen Selbsthilfeprogramms vorgestellt, das allein oder mit professioneller therapeutischer Unterstützung angewandt werden kann und an die Selbstverantwortung der Betroffenen appelliert. Das Selbsthilfeprogramm ist in folgende sechs additive Schritte gegliedert: Tagesprotokolle führen (Selbstbeobachtung des Essverhaltens), wöchentliches Wiegen Regelmässiger "neuer" Essrhythmus ohne Abführmittel- bzw. Diuretikaeinnahme Ersetzen der Essattacken durch alternative Aktivitäten Üben des Problemlöseverhaltens und Einschätzen der Fortschritte Überwinden von Diäten und anderen Formen des Vermeidungsverhaltens Rückfälle vorbeugen
Im Anhang des Buches finden sich Erklärungen zur Berechnung und Interpretation des Body Mass Indexes (BMI), Empfehlungen für übergewichtige Menschen, Adressen von Beratungsstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Hinweise für Angehörige und Freunde und Therapeuten/-innen. Das Stichwortverzeichnis ist ausgiebig gestaltet und ermöglicht ein rasches Auffinden von spezifischen Themen im Text.
Das Selbsthilfemanual wurde im Rahmen mehrerer wissenschaftlicher Studien evaluiert und erwies sich in der klinischen Praxis als erfolgreich, brauchbar und wirksam. Carter & Fairburn (1995) ziehen dieses Selbsthilfeprogramm mit zusätzlicher therapeutischer Unterstützung einer kurzen kognitiven Verhaltenstherapie vor, da es auch von Therapeuten/-innen verwendet werden kann, die nicht auf Essstörungen spezialisiert sind.
Dalle Grave (1997) wies in einer Pilotstudie die Wirksamkeit dieses Selbsthilfemanuals an einer Stichprobe bulimischer Frauen nach. Die Patientinnen nahmen zusätzlich an 8 (zweimal monatlich) stattfindenden Sitzungen teil, die jeweils 20 Minuten dauerten. Von 17 Patientinnen verbesserten sich 10 (58.8%) deutlich, 6 von diesen 10 (35.3%) waren zu Therapieabschluss vollständig symptomfrei.
In der Studie von Carter & Fairburn (1998) wurden die therapeutischen Effekte des Selbsthilfemanuals mit versus ohne zusätzliche therapeutische Unterstützung untersucht, als Kontrollgruppe fungierten Patientinnen der Warteliste. 72 Frauen mit Binge Eating Disorder wurden für 12 Wochen nach dem Zufallsprinzip einer dieser 3 Bedingungen zugeordnet und 6 Monate lang beobachtet. Beide Formen der Selbsthilfe hatten eine beträchtliche und nachhaltige Wirkung, da nach Therapieabschluss fast die Hälfte der Teilnehmerinnen keine Essattacken mehr aufwiesen.
Loeb et al. (1999) verglichen die kurz- und langfristige Wirksamkeit des Selbsthilfeprogramms an 40 Frauen (82.5% mit Binge Eating Disorder), die randomisiert entweder der Behandlungsbedingung "Selbsthilfe mit zusätzlicher therapeutischer Unterstützung" oder "Selbsthilfe ohne zusätzliche therapeutische Unterstützung" zugewiesen wurden. Auch hier zeigten die Ergebnisse, dass beide Therapieformen geeignete Varianten zur Behandlung von Essattacken darstellen. Allgemein verbesserten sich das Essverhalten der Patientinnen sowie ihre allgemeine psychische Funktionsfähigkeit, sodass sie ihre unangebrachten, essstörungsspezifischen kompensatorischen Massnahmen, ihre Figursorgen, Gewichtssorgen und andere psychopathologische Symptome aufgeben konnten. Selbsthilfe mit zusätzlicher therapeutischer Unterstützung war der anderen Behandlungsbedingung insofern überlegen, als sich die Häufigkeit der Essattacken, die damit verbundene Symptomatologie sowie die Empfindlichkeit in zwischenmenschlichen Kontakten reduzierte. Prinzipiell erwies sich ein hohes Ausmass an allgemeiner Psychopathologie als negativer prognostischer Indikator.
In der Studie von Ghaderi & Scott (2003) wurden 31 Patientinnen mit Bulimie, subklinischer Ausprägungsform von Bulimie bzw. Binge Eating Disorder 16 Wochen lang einer Therapie zugeführt, wobei eine Gruppe das Selbsthilfemanual alleine bearbeitete, die andere Gruppe dieses mit zusätzlicher therapeutischer Begleitung durchführte. Auch hier kam es trotz Heterogenität der Diagnosegruppen bei beiden Therapieformen zu positiven nachhaltigen Effekten. Intention-to-treat Analysen zeigten, dass sich die mittlere Anzahl objektiver bulimischer Episoden sowie des purging Verhaltens auf 33%, bzw. auf 17% im Verlauf der Behandlung reduzierte. Der entsprechende Grad der Abnahme pathologischer Verhaltensmuster bei Patientinnen, die die Therapie bis zum Ende durchführten (n = 18), betrug 58%, bzw. 61%. Zwischen den beiden Therapieformen (Selbsthilfe mit und ohne therapeutische Unterstützung) fanden sich keine signifikanten Differenzen. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung 6 Monate später konnten weder signifikante Verbesserungen noch Verschlechterungen verglichen mit den Daten zu Therapieende festgestellt werden.
Walsh et al. (2004) untersuchten 91 Patientinnen, die randomisiert 4 Bedingungen zugeordnet wurden: Gruppe 1: psychopharmakologische Therapie mittels Fluoxetine, Gruppe 2: Placebo, Gruppe 3: Therapie mittels Fluoxetine und Selbsthilfetherapie mit psychotherapeutischer Unterstützung, Gruppe 4: Placebo und Selbsthilfetherapie mit psychotherapeutischer Unterstützung. Der Grossteil der Patientinnen (n = 63) brach die Therapie frühzeitig ab (69.2%), nur 28 (30.8%) schlossen die Therapie ab. Von den Therapieabbrechern fanden 21 (33.3%) das Behandlungsprogramm zu anspruchsvoll bzw. nicht ausreichend intensiv genug. Patientinnen der Gruppe 1 wiesen eine grössere Reduktion des Binge Eating, des Erbrechens sowie ihrer psychologischen Probleme auf im Vergleich zu Patientinnen der Gruppe 2 (Placebotherapiegruppe). In dieser Studie fanden sich keine Nachweise eines Zusatznutzens bei Anwendung des Selbsthilfeprogramms.
Fairburn: Overcoming Binge Eating: New York, The Guilford Press, 1995, 247 Seiten, etwa 17.95 Dollar, ISBN: 0898629616
Carter, Fairburn (1995) Addict Behav.20 (6): 765-72. Dalle Grave (1997) Eat Weight Disord. 2 (3): 169-72. Carter, Fairburn (1998) J Consult Clin Psychol. 66 (4): 616-23. Loeb, Wilson, Gilbert, Labouvie (2000) Behav Res Ther. 38 (3): 259-72. Ghaderi, Scott (2003) Br J Clin Psychol. 42 (Pt 3): 257-69. Walsh, Fairburn, Mickley, Sysko, Parides (2004) Am J Psychiatry 161 (3): 556-61.
Mag. Dr. Susanne Ohmann, Psychologin und Psychotherapeutin Essstörungsambulanz für Kinder und Jugendliche, AKH, MUW Wien
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